Aufsichtspflicht

„Eltern haften für ihre Kinder!“ – Haften Eltern für ihre Kinder?

Darf ich meine Kinder alleine spielen lassen? Wer haftet, wenn Kindern etwas zustößt oder sie etwas anstellen? Worauf muss ich achten, wenn ich ein Ferienlager oder Partys mit Jugendlichen organisiere?

Egal ob als fürsorgliche Eltern, Betreiber:innen eines Jugendzentrums, als Babysitter oder als Veranstalter:in von Jugendfesten – beim Umgang mit Minderjährigen stellt sich so gut wie immer die eine oder andere Frage nach der Aufsichtspflicht.

„Eltern haften für ihre Kinder!“ - Haften Eltern für ihre Kinder? 

Ganz gleich, ob ihr selbst schon Nachwuchs habt, mit Kindern & Jugendlichen beruflich zusammenarbeitet oder als Verein etwas für Minderjährige veranstalten wollt – wir haben euch nachfolgend die wichtigsten Fakten und rechtlichen Grundlagen zum Thema Aufsichtspflicht zusammengestellt! Wenn ihr euch nicht sicher seid, was Aufsichtspflicht eigentlich ist, wer sie haben kann, was sie alles umfasst, wann sie verletzt wird und was danach passiert, dann seht euch die nachfolgenden Absätze  einfach mal genauer an!

In unserem Infoblatt geben wir euch einen Überblick rund um das Thema Aufsichtspflicht. Sollten dennoch nicht alle eure Fragen beantwortet werden, dann meldet euch gerne bei uns!


DIE AUFSICHTSPFLICHT

Was bedeutet Aufsichtspflicht?

Die Aufsichtspflicht wird in verschiedenen Gesetzen erwähnt, aber nicht definiert. Die eigentliche Begriffsbestimmung erfolgt durch die Rechtsanwendung der Gerichte. Daraus haben sich folgende Grundsätze ergeben: 

  • Aufsichtspflichtige Personen haben dafür zu sorgen, dass die ihrer Aufsicht unterstehenden Kinder selbst nicht zu Schaden kommen und auch keinen anderen Personen Schaden zufügen.
  • Dabei bestimmt sich das Maß der Aufsichtspflicht danach, welche Schädigung angesichts des Alters, der Eigenschaft und der Entwicklung des Kindes vorhersehbar ist und vom Aufsichtspflichtigen vernünftigerweise verhindert werden kann


Die Aufsichtspflicht ist also stark situationsabhängig und von Mal zu Mal verschieden! Zusätzlich muss die Aufsichtspflicht laut dem Obersten Gerichtshof „lebensnah verstanden werden und darf nicht unrealistisch überspannt werden“.

Wer kann Aufsichtspflicht haben und wie entsteht sie?

Grundsätzlich kann jeder aufsichtspflichtig werden, in einem gewissen Umfang sogar Minderjährige selbst (Stichwort: Babysitter). Es ist aber darauf zu achten, dass durch die Betrauung einer offensichtlich ungeeigneten Person mit Aufsichtspflicht nicht wiederum selbst eine Aufsichtspflichtverletzung begangen wird. Es gibt folgende Möglichkeiten, wie Aufsichtspflicht begründet bzw. übertragen werden kann:

  • Aufsichtspflicht kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung (z.B. Eltern, Lehrer:in während der Schulzeit,…)
  • Ausdrücklich oder konkludent vertraglich übernommene Aufsichtspflicht (z.B. Rechtsträger, Kindergärten, Tagesmütter, Babysitter,…)
  • Faktisch übernommene Aufsichtspflicht (z.B. in einem Jugendzentrum)
  • Freiwillige Gefahrenübernahme (z.B. fünfminütiges Aufpassen auf ein Kind am Spielplatz)
  • Verkehrssicherungspflicht (z.B. Aufsicht bei einer Baustelle neben einer Schule)
  • Aufsichtspflicht kraft Ingerenz, das heißt bei Schaffung oder Beherrschbarkeit der Gefahr (z.B. Passant:in, der/die Zeuge/Zeugin einer gefährlichen Situation wird und helfen könnte).

In welchem Rahmen besteht Aufsichtspflicht?

Die Aufsichtspflicht beinhaltet diverse konkrete Pflichten im direkten Umgang mit den Schützlingen, aber auch ganz allgemein die Einhaltung diverser – im jeweiligen Fall zur Anwendung kommender – Gesetze. 

  • Erkundigungspflicht 
    Unter „Erkundigungspflicht“ versteht man die Verpflichtung des Aufsichtspflichtigen, sich über Umstände in der Person des Kindes (Krankheiten, Allergien, Behinderungen, sportliche Voraussetzungen, Charakter,…), örtliche Gegebenheiten (z.B. bei einer Wanderung) und über gefährliche Gegenstände (z.B. Pfeil und Bogen, Gebläsemotor einer Hüpfburg,…) zu erkundigen und dementsprechend darauf zu achten.
  • Anleitungs- und Warnpflicht 
    Hierunter versteht man die Aufgabe des Aufsichtspflichtigen, ungewöhnliche Gefahren (falls möglich im Vorhinein) auszuschalten, indem Verantwortliche zur Behebung aufgefordert werden, den Kindern der Umgang mit Gefahren vermittelt wird und letztlich auch Verbote erteilt werden.
  • Kontrollpflicht 
    Wie die zu beaufsichtigenden Kinder/Jugendlichen kontrolliert werden sollen, kann nach zwei Aspekten beurteilt werden: Nach dem Alter ist zu klären, wie oft kontrolliert werden soll. Bei Kindern bis zum sechsten Lebensjahr sollte idealerweise durchgehender Blick- oder Hörkontakt bestehen, zumindest aber alle fünf bis zehn Minuten nachgesehen werden. Kinder im Volksschulalter bedürfen alle ein bis zwei Stunden einer Nachsicht, während bei Jugendlichen ganz allgemein nach Reife und Situation abgewogen werden muss; auf jeden Fall muss es eine klare Struktur geben und einzuhaltende Regeln für die Jugendlichen fühlbar sein. Der zweite Aspekt der Kontrollpflicht ist der sogenannte Betreuungsschlüssel, also die Frage nach dem zahlenmäßigen Verhältnis von Aufsichtspersonen zu Schützlingen. Es gibt keine ausdrückliche Regelung darüber, wie groß eine zu beaufsichtigende Gruppe sein darf bzw. wieviele Aufsichtspersonen für wieviele zu Beaufsichtigende abgestellt werden müssen, es kann aber dennoch eine Aufsichtspflichtverletzung vorliegen, wenn z.B. das Verhältnis zwischen Gruppenmitgliedern und Betreuer:innen offensichtlich nicht stimmt. Letztlich hängt der Betreuungsschlüssel von zahlreichen Faktoren ab, wie z.B. Alter der Personen oder den örtlichen Gegebenheiten. Anbei einige Beispiele aus der Fachliteratur: 
    - Geschlossenen Räume (z.B. Kindergarten): 1:12 
    - Ausflüge oder im Ferienlager: 1:8 - gefährliche Unternehmungen (z.B. Bergtour): 1: 4-6 
    - Jugendliche mit speziellen Erziehungsbedürfnissen: 1: 2-3 
    - Betreuung von behinderten Kindern: nach Erfordernis
  • Eingreifpflicht 
    Die Eingreifpflicht umfasst Maßnahmen wie Ermahnungen, das Wegnehmen von gefährlichen Gegenständen, das Ausschließen des Kindes/Jugendlichen von einer Aktivität, das Abbrechen einer Aktivität und das Informieren der Eltern. Wichtig ist, dass keine Strafen mit Risiken für die Gesundheit oder mit „Prangereffekt“ erteilt werden! 
  • Einhaltung von Gesetzen 
    Zu guter Letzt umfasst die Aufsichtspflicht auch die Einhaltung von Gesetzen. So sind beispielsweise die Bestimmungen der jeweiligen Jugend(schutz)gesetze im Hinblick auf Aufenthaltszeiten, Aufenthaltsverbote, Weitergabe von Alkohol & Nikotin oder Zugänglichmachung von jugendgefährdenden Medien so gut wie immer zu beachten. Bei Ausflügen mit Schützlingen auf der Straße ist die Straßenverkehrsordnung einzuhalten (z.B.. die Regelungen über die Benützung von Gehsteigen und Straßen, die Ausstattung von Fahrrädern oder die Verwendung von Lampen bei Gruppenwanderungen in der Dämmerung,…), bei Wanderungen oder Ferienlagern im Wald sind forst- und naturschutzrechtliche Vorschriften relevant (Lagerfeuer, Benützung von Zeltplätzen, Verbot von Verschmutzungen usw.). Daneben gibt es noch unzählige weitere Gesetze, die abhängig von der jeweiligen Betreuungssituation zur Anwendung kommen und deren Nichteinhaltung dann eine Aufsichtspflichtverletzung darstellen kann. 


Bei der Frage nach den Grenzen der Aufsichtspflicht gibt es wie auch schon beim Begriff selbiger keine exakte Lehrbuchantwort. Was nicht mehr von der Aufsichtspflicht umfasst wird bzw. welche Verpflichtungen den Aufsichtspflichtigen nicht mehr treffen, ergibt sich aus näher zu bestimmenden Kriterien:

  • Was kann angesichts des Alters, der Eigenschaft und der Entwicklung des Kindes vorhergesehen werden?
  • Was kann vom Aufsichtspflichtigen vernünftigerweise verlangt werden?
  • Abwägung zwischen den Sicherheitserfordernissen des Kindes und seiner Erziehung zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit Gefahren. Bei konkreter Schadensdrohung geht die Schadensverhinderung aber immer der Erziehungsaufgabe vor! 


Als Beispiele sollen hier einige Fälle aus der recht kasuistischen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes dienen: So wurde etwa keine Aufsichtspflichtverletzung angenommen, wenn die Einhaltung eines Verbotes durch Kinder erwartet werden konnte, dies in der Folge aber dennoch nicht geschehen ist. Dagegen handelte es sich sehr wohl um eine Aufsichtspflichtverletzung, als einem/einer Elfjährigen ohne Aufsicht das Hantieren mit einem Luftdruckgewehr ermöglicht wurde, oder auch als ein:e Neunjährige:r unbeaufsichtigt mit dem Rad im Straßenverkehr unterwegs war. 

Was sind die möglichen Folgen einer Aufsichtspflichtverletzung? 

Wurde die Aufsichtspflicht verletzt und liegen noch weitere Voraussetzungen wie Schaden und Ursächlichkeit vor (siehe dazu näher gleich unten), dann kann es zur Haftung kommen.

Unter „Haftung“ versteht man das persönliche Einstehenmüssen. Dies heißt zunächst einmal, dass man zivilrechtlich Schadenersatz leisten muss, wenn folgende Voraussetzungen gegeben sind:

  • Als Vorfrage: Bestand überhaupt Aufsichtspflicht? (siehe die verschiedenen Arten der Übernahme)
  • Wurde die Aufsichtspflicht verletzt? (Abstellen auf Vorhersehbarkeit beim Kind & Zumutbarkeit an Aufsichtspflichtigen): 
    - Liegt eine objektive Aufsichtspflichtverletzung vor? (das heißt der Schaden aufgrund der Aufsichtspflichtverletzung hätte vom Aufsichtspflichtigen verhindert werden können und müssen, „Rechtswidrigkeit“) 
    - Liegt eine subjektive Aufsichtspflichtverletzung vor? (das heißt der/die Aufsichtspflichtige hat den Schaden schuldhaft, also ihm persönlich vorwerfbar, nicht verhindert; „Verschulden“)
  • Ist ein Schaden eingetreten?
  • Liegt Ursächlichkeit der Aufsichtspflichtverletzung für den Schaden vor? (das heißt wenn die Aufsicht nicht verletzt worden wäre, dann wäre es zu keinem Schaden gekommen, „Kausalität“) 


Grundsätzlich gilt: Nur wenn alle diese Voraussetzungen gemeinsam vorliegen, haftet der/die Aufsichtspflichtige! 

Daneben können zusätzlich noch weitere Personen unabhängig von den genannten Voraussetzungen haften, nämlich:

  • Die gesetzlichen Vertreter:innen (in der Regel die Eltern) für die Auswahl ungeeigneter Personen gemäß § 1313a Allgemein bürgerliches Gesetzbuch
  • Rechtsträger einer Einrichtung (z.B.. Gemeinde oder Verein als Betreiber eines Jugendzentrums), für die Auswahl ungeeigneter Personen gemäß §1313a Allgemein bürgerliches Gesetzbuch; Dabei kommt es darauf an, wer geschädigt wurde: Mitglieder (beim Verein) haben Anspruch gegen Schädiger und Rechtsträger. Dritte grundsätzlich nur gegen Schädiger; gegen Rechtsträger nur bei Auswahl von untüchtigen oder gefährlichen Mitarbeiter:innen.
  • Mitarbeiter:in einer Einrichtung, Regress entweder nach Dienstnehmerhaftpflichtgesetz bzw. Amtshaftungsgesetz
  • Das Kind selbst: Unmündige Minderjährige (unter 14 Jahren) haften gemäß § 176 in Verbindung mit § 1310 Allgemein bürgerliches Gesetzbuch nur subsidiär (wenn kein Aufsichtspflichtiger haftet) und nach Billigkeit, wenn ihm also je nach Einsichtsfähigkeit dennoch ein Verschulden zur Last gelegt werden kann oder es aufgrund von eigenem Vermögen den Schaden leichter tragen kann als der/die Geschädigte (z.B. wenn eine Haftpflichtversicherung zu Gunsten des Kindes besteht); mündige Minderjährige (ab 14 Jahren) haften generell (gegebenenfalls solidarisch mit dem Aufsichtspflichtigen) 


Andererseits kann durch die Aufsichtspflichtverletzung aber auch ein Tatbestand des Strafgesetzbuches erfüllt sein, was dann zusätzlich noch eine gerichtliche Strafe nach sich ziehen kann. Typische Straftatbestände, die mit einer Aufsichtspflichtverletzung einhergehen, sind z.B.:

  • Fahrlässige Körperverletzung gemäß § 88 Strafgesetzbuch
  • Quälen oder Vernachlässigen unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen, die der eigenen Fürsorge oder Obhut unterstehen bzw. Schädigung wegen Vernachlässigung der Fürsorge oder Obhut gemäß § 92 Strafgestzbuch
  • Evt. Beitragstäterschaft durch Unterlassen, wenn das Kind selbst jemanden verletzt oder einen Schaden anrichtet (gemäß §§ 2 und 12 Strafgesetzbuch in Verbindung mit dem jeweiligen Tatbestand, den das vom Kind begangene Delikt erfüllt) 


Haftungsausschlüsse sind für einigermaßen vorhersehbare Sachschäden und leicht fahrlässiges Verhalten zulässig; für Personenschäden bzw. grob fahrlässiges oder gar vorsätzliches Verhalten kann niemand die Haftung abbedingen! Solche Haftungsausschlüsse wären sittenwidrig und damit unwirksam. Gerade bei Jugendorganisationen macht es jedoch kein gutes Bild, wenn die Haftung für leicht fahrlässiges Verhalten im Vorhinein ausgeschlossen wird; besser wäre hier der Abschluss einer geeigneten Haftpflichtversicherung (siehe sogleich unten). 

Versicherungsfragen 
Um mögliche nachteilige Folgen einer Haftung abzufedern, empfiehlt sich der Abschluss einer Haftpflichtversicherung, die regelmäßig eben auch Schäden aufgrund einer 6 Aufsichtspflichtverletzung abdeckt. Haushaltsversicherungen beinhalten meist gleich eine Haftpflichtversicherung, für Betriebe bzw. Jugendorganisationen gibt es eigene Betriebs- oder Pauschalhaftpflichtversicherungen, von der dann alle Mitarbeiter:innen auf einmal mitumfasst werden. Hier gilt es vor allem, die unterschiedlichen Versicherungsbedingungen genau zu beachten, also z.B. wie welche Versicherungsfälle konkret abgedeckt werden und welche nicht, wie hoch die Deckungssumme ist oder ob ein etwaiger Selbstbehalt besteht und welche Verpflichtungen der Versicherung gegenüber bestehen (umgehende Schadensmeldung und Ähnliches). Neben einer Haftpflichtversicherung gibt es auch noch Unfall- und Rechtsschutzversicherungen, die dann bei bleibenden Gesundheitsschäden oder Tod bzw. beim Rechtsweg Unterstützung bieten.


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